Es ist Freitagmorgen, am 30. Juni 2030, Ladina, meine 15jährige Tochter steigt in den selbstfahrenden Bus nach Wattwil. Dort geht’s zum Bildungscampus. Sie besucht die interdiszplinäre Mittelschulausbildung zur Informatikerin im Lernatelier Ost. Zwei Mal pro Woche trifft sie auf die Praktiker der Berufsschule, den Kantons- und Berufsschule sind verschmelzt. Die Schülerinnen sind auch in ständigem Kontakt im virtuellen Klassenchat mit Klassenkameraden aus der ganzen Welt. Der Campus Wattwil beschult Jugendliche aus der ganzen Ostschweiz, weil sich der Campus einen Schweizweiten Ruf erarbeitet hat bezüglich digitaler Kreativwirtschaft.

Heute Nachmittag fällt die Schule beim Campus Wattwil aus. Alle Schüler*innen reisen nach Lichtensteig. Ladina betritt das Kreativlabor in der Kalberhalle. Von weitem sieht sie mich und grüsst verlegen. Ich habe heute die Ehre die Begrüssung zu machen bei der Auszeichnung des Toggenburgs zur europäischen «Kulturhauptstadt». Die Toggenburger Kultur wird ausgezeichnet, weil durch die einmalige Zusammenarbeit von Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Staat einzigartige Projekte entstanden sind. Dabei haben Alle konsequent die Chancen der Digitalisierung genutzt. Zudem ist es der Kultur gelungen den Spagat zu schaffen zwischen traditionellen Klängen der Alpkultur und futuristischen Tönen.

Inzwischen wohnen bereits über 100 internationale Künstler im Tal, welche via Artist in Residence im Rathaus für Kultur, in der Klangwelt und dem Chössi-Theater den Weg ins Tal fanden und nicht mehr wegziehen wollten.
Gleiches gilt auch für Firmengründer*innen. Übrigens wurde ein Toggenburger «Schweizer Unternehmer des Jahres» und zwar Tobias Kobelt. Er gründete vor 13 Jahren das Macherzentrum und wurde zum Vorbild der Selbstorganisation. Er beschäftigt inzwischen mehrere hundert Mitarbeitende in seiner Firma, die sich dem Genuss widmen. Er kann sich in der Firma vor qualifizierten Mitarbeitenden fast nicht mehr retten, weil alle Städter unbedingt im Toggenburg arbeiten wollen.

Ladina verlässt inzwischen die Kalberhalle. Es ist ihr dann doch zu peinlich mit ihrem Vater öffentlich im selben Raum zu sein. Sie muss noch rasch Brot holen im Café Huber, dass weiterhin analog tätig ist. Denn es ist längst allen bekannt, dass der Erfolg der 50 Genussmanufakturen im Städtli im persönlichen Austausch zwischen Kundinnen und Geschäftsinhaber*innen liegt. Die Resonanz macht den Unterschied. Aber nebst dem lokalen Vertriebskanal leben die Manufakturen längst auch vom Onlinehandel und den stationären Markenstores in 10 europäischen Städten. Ladina freut sich jetzt schon auf das kommende Praktikumsjahr im Toggenburgshop in Berlin. Dort boomt vor allem der Toggenburger Superfood «Bloderchäs».

Mitgetragen werden die Shops übrigens von Toggenburg Tourismus. Sie haben erkannt, dass die Liebe zur Tourismusregion durch den Magen geht. Den Schweizer Tourismuspreis haben sie bereits im Vorjahr erhalten. Der Resonanztourismus, der vor zehn Jahren lanciert wurde, hat ganz offensichtlich ein Bedürfnis der Menschen getroffen. Um die Nachhaltigkeitsziele noch erfüllen zu können, mussten sogar Tourismuskontingente eingeführt werden.

Nach einem kurzen Abstecher zu Hause, macht sich Ladina Richtung Thur auf. Sie kommt vorbei an der Kreativfabrik. Über 150 Kreative sind dort täglich tätig und werkeln an ihren Ideen in einer inspirierenden Gemeinschaft. 50 Personen wohnen fix dort. Die Fabrik diente 10 weiteren Brachen im Toggenburg als Vorbild für eine erfolgreiche Transformation.

Sie geht weiter und grüsst unterwegs das Clean-Team, welches gerade auf Fetzlitour ist - und das schon seit 12 Jahre. Alle freiwilligen Helfer sind bei Zeitgut Toggenburg registriert. Wie übrigens 80% der 60'000 Toggenburgerinnen. Sie leisten pro Jahr über 4,8 Mio. Stunden Freiwilligenarbeit oder 100 Stunden pro Person. Die «100 Stunden fürs Toggenburg» gehören zum guten Ton.

Bevor sie ins Chössi-Theater kommt, wirft Ladina noch einen Blick auf den belebten Begegnungsplatz Flötzli und den Biodiversitäts-Schrebergarten Flötzli. Im Chössi-Theater besucht sie heute die Nachwuchsfeier zur Kulturhauptstadt. Das Chössi-Theater ist inzwischen Schweiz weit bekannt. Es hat sich einen Namen gemacht mit ihrer Strategie «Theater of Future» und dem passenden futuristischen neuen Bühnenteil gleich neben dem denkmalgeschützten Bau.

Der Saalanbau war übrigens der Startschuss in eine neue, architektonische Zeitrechnung im Toggenburg. Die «Block-Copy-Paste-Architekturzeit» ist längst vorbei. Das Toggenburg entwickelte über die Jahre wieder ihren ganz eigenen Architekturstil. Unterstützt wird diese neue Baukultur durch die neuen 3D Drucker.
Nach der Vorstellung im Chössi-Theater schnappt sich Ladina einen E-Flugteppich beim Bahnhof und fliegt wie der Blitz nach Hause. Sie läuft die alte Holztreppe hoch und hört die Balken knarren aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Vision Mathias Müller, Stadtpräsident Lichtensteig
18.09.2020